"Ich schaue abends Filme, damit ich zur Ruhe komme." Die Bedeutung digitaler Medien für Obdachlose in Berlin

Dr. Vera Klocke

Zusammenfassung
Location: Gather Town

In video-ethnographischen Auszügen zeigen obdachlose Personen aus Berlin ihre liebsten Youtube-Videos, Filme und Computerspiele auf ihren Smartphones. Mit dem Schwerpunkt auf Freizeitgestaltung und digitalen Medien lenkt der Film den Blick so auf Themenbereiche, die im Kontext von Obdachlosigkeit oft unsichtbar bleiben.
Deutsch
Off Stage

Das Phänomen der Obdachlosigkeit geht mit einem eingeschränkten Bildrepertoire einher. In der medialen Berichterstattung wird meist auf Motive wie  in Schlafsäcke gehüllte Personen, Spendenboxen und unordentlich wirkende Matratzenlager zurückgegriffen. Die Eindimensionalität der Darstellung lässt sich mit den Worten der Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie als  "the danger of a single story" bezeichnen. Die Heterogenität der Gruppe von obdachlosen Personen und die Identitäten der Einzelnen bleiben vor dem Hintergrund der immer gleichen Bilder unsichtbar. Die Installation fügt diesem Bildkanon andere Bilder hinzu und zeigt Aufnahmen, in denen obdachlose Personen über ihre liebsten Youtube-Videos, Filme und Computerspiele sprechen und dabei selber entscheiden, wie sie gesehen werden möchten. Dazu gehört die Geschichte eines Mannes, der am liebsten NASA-Videos in der U-Bahnstation schaut und die Aufnahme, die einen Mann zeigt, der so lange "Call of Duty" spielt, bis sein Akku leer ist. So handelt diese Installation nicht nur von Freizeitgestaltung auf der Straße, sondern auch von der Frage, welche Rolle digitale Medien und Smartphones in Zeiten einer voranschreitenden Digitalisierung für ein Leben auf der Straße spielen. Die video-ethnographische Feldforschung hat im Rahmen des  von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts "Bewegte Öffentlichkeiten und Privatheiten am Rande: Obdachlosigkeit in Zeiten mobiler Medien" stattgefunden, das seit 2019 an der Universität der Künste Berlin angesiedelt ist. In diesem Kontext hat sich gezeigt, dass Smartphones nicht nur wichtig für den Zugang zu Informationen sind, sondern auch die Möglichkeit bieten, einen eigenen symbolischen Raum der Privatssphäre im öffentlichen Raum zu kreieren. Der Aufbau der Installation orientiert sich an diesem Erleben und ermöglicht den Zuschauer:innen eine individuelle Rezeption der Videos, in deren Fokus abgefilmte Smartphones stehen.

Vera Klocke
Researcher/ Podcaster