Look up! Mehrheiten-Mitnehmen ohne Utopie-Syndrom

Gunter Dueck

Zusammenfassung
Klima, Krieg, Diskriminierung, Corona, Verfall der Infrastrukturen - Empörung ist angesagt. Feuer! Aber die Feuer werden nur per "Washing" gelöscht, nicht viel mehr. Diagnosen sind keine Therapie, wenn die trägen Mehrheiten "mitgenommen" werden müssen. Empörung verträgt sich nicht mit Geduld... Ein Appell, keinem Utopiesyndrom zu verfallen.
Vortrag
Deutsch
Live Übersetzung
Conference

Heute findet ein Kampf um Bedeutungshoheiten für die Zukunft statt. Die Welt soll besser werden, und so viele verzweifeln, dass so wenig passiert - wenn es kurzfristig betrachtet wird. Wenn sich die Welt aber nicht so schnell verändern lässt? Wenn das nicht schnell geht? Wenn sich die Aufmerksamkeit der Welt bei jedem neuen Problem nur wieder ausschließlich diesem einzigen zuwendet und wenig später auf ein anderes fokussiert? Bei den heute hohen Empörungswellen denke ich oft an den Begriff des Utopiesyndroms (Paul Watzlawick). Da möchten manche etwas Unmögliches, oder sie erwarten zu viel, haben aber genau deshalb keinen Erfolg und werden nun böse, weil ihnen womöglich Feinde entgegentreten und vielleicht sogar ihre Idee zerstören. Da erliegen sie leichter als sonst der Sucht des "Mehr vom Gleichen" (auch ein Terminus von Watzlawick) und werden extrem. In diesem Fall aber wecken sie die Widerstandskräfte tatsächlich. Zuerst drehen sich die nicht wirklich Veränderungswilligen ein wenig wie Fähnchen im Wind ("woke-washing"), um nur auszuweichen. Am Ende aber setzen sich zu ungeduldige Idealisten mit den extremen Kommentaren der "Gegner*innen" auseinander, die oft einfach intellektfreien Hass gegen Empörung setzen. Gegen das "Look up!" agitiert schließlich noch extremer das "Don't look up!" wie im gerade angesagten Movie. Über diesem Streit wird der reale Fortschritt gestoppt, das Problem bleibt liegen, aber es bleiben Verletzungen und verlassene Fronten. 

Mitnehmen! Die Menschen sind nicht einfach böse, nur eben träge in ihrer Komfortzone. Diese Trägheit sitzt nicht im Kopf, sondern tief verwurzelt im Körper. Dort muss sie aufgeweicht werden. Mitnehmen: "Meine Enkelin isst nur noch vegan. Ist ja richtig, eigentlich. Ich kaufe jetzt weniger Fleisch. Sie hat überall LEDs eingeschraubt. Manches geht zu weit, aber sie meint es gut." Als alter weißer Mann kann ich lange zurückblicken: es hat sich während meines Lebens viel getan. Die Reise zum Besseren ist schön, auch wenn die Straße lang ist (sinnverändernd von Constantino Kavafis geklaut).