#rp23 Keynote-Sprecher Matthias Quent: Über Klima, Ungleichheit und die radikale Rechte.

13.03.2023 - Welche Folgen hat die ökologische Transformation auf die gesellschaftliche Polarisierung und den Kampf der Rechten gegen Klima-Aktivismus?
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A portrait photo of Matthias Quent.
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Sio Motion

Aufgewachsen in Thüringen, setzt sich Matthias Quent bereits in seiner Jugend mit rechter Gewalt auseinander und engagiert sich seither für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stärkung demokratischer Kultur. Er gründete und leitete bis 2022 das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. DIE ZEIT wählte ihn 2019 zu einem der 100 wichtigsten jungen Ostdeutschen. Als Professor für Soziologie forscht Quent aktuell an der Hochschule Magdeburg-Stendal zu Rechtsextremismus, Radikalisierung, Rassismus und Hass.

Gemeinsam mit Christoph Richter und Axel Salheiser veröffentlichte Matthias Quent Ende 2022 das Buch „Klimarassismus: Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende“. Quents aktueller Forschungsschwerpunkt sind Chancen und Herausforderungen für die demokratische Kultur im Metaverse: Welche sozialen Folgen resultieren aus Digitalisierung und Mediatisierung? Wie können soziale Netzwerke politische Partizipation ermöglichen und gesellschaftliche Teilhabe stärken?

2021 sprach Matthias Quent auf der re:publica über die AfD zwischen Superwahljahr und Querdenken. Auf der #rp23 freuen wir uns auf seine spannenden Einblicke zu Ungleichheit, Radikalisierung und demokratischer Teilhabe im digitalen Raum.

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Lass uns über #CASH sprechen. Ein Interview mit Matthias Quent.
 

Du beschäftigst dich derzeit mit Klimarassismus. Welche Rolle spielt „Cash” in diesem Kontext?

Die Ursachen des Klimawandels sowie die kolonialistische und industrielle Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen sind eng miteinander verknüpft. Beides geht einher mit einer extrem ungleichen Verteilung kultureller Macht und „Cash“ – also finanziellen Profiten sowie des Wohlstandswachstums insbesondere in den Industrienationen, welche die historische Hauptverantwortung für klimaschädliche Emissionen tragen. Diese ungleiche Verteilung von „Cash“ und von kultureller Macht – dazu zählen etwa Konzepte wie „white supremacy“ und „hegemoniale Männlichkeit“ – bilden zentrale Motive rechter Radikalisierung. Denn soziale Ungleichheit muss entweder gerechtfertigt oder verdrängt werden, um Revolten und Revolutionen zu verhindern. Warum galt Sklaverei in Europa und Nordamerika als akzeptabel? Warum gilt es als legitim, dass Menschen im Globalen Norden im Vergleich zum Globalen Süden ein Vielfaches der Ressourcen für sich beanspruchen und damit weltweite Krisen produzieren – beispielsweise in Hinblick auf das CO2-Budget? Warum leiden vor allem diejenigen besonders unter den Folgen des Klimawandels, die am wenigsten dafür Verantwortung tragen – BIPoC und ärmere Menschen? Profite und Privilegien, die vor allem im Globalen Norden und bei den Reichsten ankommen und einseitig als „Freiheit“ verklärt werden, zerstören zuerst die Lebensgrundlagen derjenigen, die unsichtbar gemacht oder zu den „Anderen“ erklärt werden. Jene, mit denen man sich nicht solidarisiert, deren Elend man für vertretbar hält und deren Interessen man eigenen nationalen oder wirtschaftlichen Zielen unterordnet. 

Was hat das mit dem Kampf der radikalen Rechten gegen die sozial-ökologische Transformation zu tun?

Rassismus, Nationalismus und Libertarismus liefern die extremsten Narrative der Rechtfertigung dieser Ungleichheiten. Rechte Ideologien lenken mitten in der Gesellschaft von der sozialen Verantwortung der Profiteure des Ungleichheitsregimes ab, welches von der Klimakrise noch verstärkt wird. Seit Jahrzehnten wird der Kampf gegen den Klimawandel mit massig finanziellen Mitteln aus neoliberalen und zunehmend rechtsradikalen Netzwerken behindert. Nicht zuletzt heißt es „Menschen vor Profite“: Nur eine gerechte Verteilung von „Cash“ könnte die Klimakrise und die Demokratie retten. „Klimadiktatur!“ und „Ökosozialismus!“ erwidern Rechte auf Forderungen nach Gerechtigkeit und große Teile der sogenannten Mitte stimmen mit ein, um ihre Privilegien zu bewahren.

Wie erlebst du die Proteste der Klima-Aktivist*innen und die Reaktionen darauf? 

Die Dynamik der Proteste und der öffentlichen Resonanz ist sehr interessant, gerade in Hinblick darauf, welche Bedeutungen Symbolen, Narrativen und Positionierungen zugeschrieben werden und wie der Diskurs der Aktionsform folgt: Alle haben dazu eine möglichst polarisierende Meinung, aus der aber am Ende politisch wenig resultiert. Die Proteste selbst – nicht die Argumente, die Verzweiflung, die Wut und die Ohnmacht der Aktivist*innen – erscheinen mir relativ klein und harmlos im Vergleich mit früheren Protestbewegungen und auch im Vergleich mit aggressiven und autoritären Gegenreaktionen. Wenn mächtige Politiker*innen und Medien von Selbstjustiz raunen, Elemente der Rechtsstaatlichkeit schleifen und zivilen Ungehorsam mit Terrorismus in einen Topf werfen, ist das für die demokratische Kultur gefährlicher als wenn einige Aktivisti mit Sekundenkleber für ein Tempolimit streiten.

Lass uns einmal in Richtung re:publica 23 blicken: Welche Rolle spielen Digitalisierung und neue Technologien in deiner Forschung? 

Wie die ökologische ist auch die digitale Transformation ein Prozess mit vielen Ebenen und Gesichtern. Jeder gesellschaftliche Wandel bringt neben Chancen und Potentialen auch Gefahren sozialer Verwerfungen, agitatorischer Instrumentalisierung, aggressiver Gegenreaktionen und rücksichtsloser Profiteure mit politischen oder ökonomischen Interessen mit sich. Generell wachsen die Gefahren von Entfremdung, wenn tiefgreifende Transformationen schnell und ungleichzeitig verlaufen. Wenn Entwicklungen vorangetrieben werden, zu denen Teile der Bevölkerung (noch) keinen Zugang haben, sie kaum beeinflussen können, sie nicht verstehen, davon nicht profitieren oder sich sogar davon bedroht fühlen, sind Konflikte vorprogrammiert. Das betrifft die ökologische Transformation ebenso wie die nächsten Stufen der Digitalisierung und ihrer Folgen, zu denen ich derzeit forsche. 

Wie relevant sind etwa Entwicklungen im Metaverse für dich?

Entwicklungen unter dem Begriff Metaverse sind vor allem im Rahmen meiner Arbeit im European Metaverse Research Network sehr relevant. Mich interessiert dabei besonders, welche Auswirkungen das Metaverse für die Demokratie haben wird: Wie können wir neue, intensivere Erfahrungsräume nutzen, um Teilhabe, Empathie und inklusiven Zusammenhalt zu stärken und wie lassen sich toxische Nebenwirkungen wie Radikalisierung, Hass und politische Manipulation zumindest reduzieren? Wenn das Metaverse real wird und je mehr User*innen dort unterwegs sind, desto mehr soziale Probleme werden dort gespiegelt. Wie sollten Räume im Metaverse also designt werden, die diese Probleme nicht noch verstärken, sondern sogar reduzieren können? Wie können wir besser verstehen, was erweiterte Realität mit sozialen Beziehungen und politischen Strukturen macht – besonders dann, wenn diese erweiterte Realität auf teilweise oder vollständig synthetisch erzeugten Daten und Interaktionen basiert? Wie kann sich die Zivilgesellschaft qualifizieren, dazu Stimmen zu erheben? Wie können wir diese Entwicklungen produktiv in der akademischen Lehre behandeln? Ich finde es wichtig, diese Fragen erkenntnissuchend zu erforschen und die Technologien und Folgen des Metaverse zu diskutieren, bevor uns Entwicklungen überrollen.

Der Countdown bis zur re:publica 23 läuft. Auch wenn noch vieles passieren wird – gibt es etwas, worüber du mit uns auf der #rp23 diskutieren möchtest?

In der Frage steckt bereits ein Stück der Antwort: Mich beschäftigt, ob und wie es möglich ist, der Trendhaftigkeit und dem Informationsspam des Alltags zu entkommen und uns auf die wichtigen Herausforderungen zu konzentrieren – und zwar, ohne dabei den Bezug zur Gegenwart zu verlieren. Ich bin gespannt, ob das auf der re:publica gelingt. Etwas weniger philosophisch interessiert mich, wie neue Technologien, Plattformen und Communities Mitbestimmung und Inklusion ermöglichen oder verhindern. Das betrifft vor allem Menschen mit weniger „Cash“.

Zu guter Letzt: Hast du aktuelle Lese-/Podcast- oder Videoempfehlungen?

Kim Stanley Robinsons „Ministerium für die Zukunft“ (2020) steht an absolut erster Stelle der Bücher aus diesem Jahrzehnt, die man gelesen haben sollte. Gerade habe ich den Spielfilm „Athena“ auf Netflix gesehen und kann ihn empfehlen. Außerdem hat Craig Frehlichs Podcast „VR in Education“ einige wirklich interessante Folgen.