Weniger Netflix, mehr YouTube und Wikipedia: Zur Demokratisierung öffentlich-rechtlicher Medien

Leonhard Dobusch

Zusammenfassung
Ein neuer Medienstaatsvertrag dürfte öffentlich-rechtliche Medien bald in die digitale Freiheit entlassen. Diese Freiheit für Demokratisierung zu nutzen, würde Legitimation und Mehrwert öffentlich-rechtlicher Angebote stärken. Denn aus größerer Freiheit folgt größere Verantwortung - für Anstalten wie deren Aufsicht in Rundfunk- und Fernsehräten.
Vortrag
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Conference

In dem Maße, in dem diese rechtlichen Hürden für Online-Angebote von öffentlich-rechtlichen Medien abgebaut werden, gewinnen Fragen nach deren zeitgemäßer Gestaltung an Bedeutung. Hier dominieren jedoch bislang Vorstellungen und Vorbilder die Debatte, die defensiv ausgerichtet und an prominenten kommerziellen Angeboten orientiert sind. Vor allem Netflix wird immer wieder als Vorbild für öffentlich-rechtliche Online-Angebote herangezogen. Vorbild Netflix bedeutet aber auch, dass eine Reihe von Potenzialen für eine Weiterentwicklung und Demokratisierung öffentlich-rechtlicher Medienangebote gar nicht erst in den Blick geraten. 

In der Vergangenheit wurde unter “demokratischem Auftrag” vor allem der rundfunkgesetzliche Rahmen verstanden. Dazu zählen Programmgrundsätze wie Ausgewogenheit, Unparteilichkeit, oder Einhaltung journalistischer Sorgfaltsmaßstäbe genauso wie die konkrete Beauftragung bestimmter Angebote (z.B. einzelne Kanäle) durch den Rundfunkgesetzgeber. Die Einhaltung dieses demokratischen Auftrags zu überwachen ist Aufgabe der Rundfunkaufsicht, die selbst wiederum mit dem Spagat zwischen demokratischer Rückbindung an die Gesellschaft und (fehlender) Staatsferne zu kämpfen hat. 

In diesem Kontext eröffnen sich im Zug der digitalen Transformation jedoch Möglichkeiten, den demokratischen Auftrag öffentlich-rechtlicher Medien neu zu denken und zu leben. Es geht also darum, von einer bloß defensiven Fortschreibung einmal etablierter öffentlich-rechtlicher Strukturen in die digitale Welt hin zu einem offensiven Um- und Ausbau öffentlich-rechtlicher Medien mit dem Ziel, vielfältiger, inklusiver und demokratischer zu werden. Ein Kollateralnutzen einer derart offensiven, auf Demokratisierung hin orientierten Perspektive ist, dass auf diese Weise gleichzeitig der spezifische Beitrag öffentlich-rechtlicher im Vergleich mit privat-profitorientierten Medien gestärkt wird. 

Im Vortrag werde ich Demokratisierungspotenziale vor allem in den drei Bereichen (1) Medienkonsum, (2) Medienproduktion und (3) Mediengovernance herausarbeiten. Ihnen allen ist gemein, dass sie sich vor dem Hintergrund neuer digitaler Technologien eröffnen, keineswegs aber automatisch im Zuge der Digitalisierung einstellen werden.

Leonhard Dobusch (Foto: Ingo Pertramer, CC BY 4.0)
Professor für Organisation & Blogger